MIR REICHT ES MIT DIR!, oder: Was Gewalt in der Sprache mit eurer Feedbackkultur zu tun hat
Am letzten Sonntag war ich mit unserem Sohn auf dem Tag des offenen Hofes hier bei uns im Dorf. Es gab (eigentlich) viel zu sehen — die Kuhställe durften besichtigt werden, es gab kleine Kälbchen, Vorträge, ein Quiz, riesige Erntemaschinen, Eis, eine Strohballen-Kletterburg und bestimmt noch viel mehr. Hab ich davon was gesehen? Nö. Gleich am Eingang war ein Tisch mit fernsteuerbaren Traktoren aufgebaut. Das Söhnchen lief hin, schnappte sich einen Traktor und da standen wir dann die nächsten anderthalb Stunden. Leben mit Kindern — du weißt nie, was passieren wird!
Was hat das Ganze denn jetzt mit dem Berufsleben zu tun? Nun, wenn man anderthalb Stunden auf fernsteuerbare Traktoren starrt, dann kriegt man so einiges an Gesprächen mit. Ich hab viele Sachen gehört, und eine Situation hat mich nicht mehr losgelassen: Ein kleiner Junge — vielleicht vier oder fünf Jahre alt — steuerte voller Enthusiasmus und Leidenschaft einen der Trecker. Stilecht, indem er natürlich die Bewegung des Traktors mit der Fernsteuerung imitierte. Trecker links, Fernsteuerung links. Trecker vorwärts, Fernsteuerung vorwärts. Leider fiel ihm bei einem riskanten Manöver (Traktor über die Brücke und dann direkt Kurve) die Steuerung aus der Hand. Und da polterte es los:
“Na hab ich es doch gewusst! Mit dir kann man nirgendwo hingehen! Immer machst du alles kaputt! Es reicht jetzt, sofort!”
Mit diesen Worten wurde das Kind vom Opa weggezerrt und musste sichtlich beschämt den Stand verlassen. Nur mal so — da war nix kaputt, und Absicht war da auch nirgends. Da war nur etwas zu viel Leidenschaft und zu wenig Koordination.
Ich wiederhole nochmal meine eigene Frage — inwiefern geht es da jetzt um das Berufsleben und die Feedbackkultur in einem Unternehmen!? Achtung, Spoileralarm: Aus diesem kleinen Jungen wird in 14, 18 oder 20 Jahren ein Arbeitnehmer und vielleicht irgendwann ein Teamleiter, Arbeitgeber oder CEO. Who knows?! Und wie wird dieser CEO oder Teamleiter dann über sein Team denken?
Kinder lernen respektvollen Umgang dadurch, dass mit ihnen respektvoll umgegangen wird. Side Note: Das gilt für alle Menschen, und besonders für die, die sich nicht für ihre eigenen Rechte einsetzen können. Wenn also diesem kleinen Menschen suggeriert wird, dass er eigentlich zuverlässig alles falsch macht und dass es peinlich (?), unangenehm (?) oder verachtenswertes (?) ist, obwohl er doch einfach nur mit Feuereifer bei der Sache war — was passiert dann wohl, wenn jemand in seinem Team einen Fehler macht?
Fehlerkultur, Feedback, Kritikfähigkeit — das alles beginnt im Kindesalter. Natürlich kann ich das später noch irgendwie lernen (manche besser als andere), aber die Grundsteine werden gelegt, wenn wir noch ganz klein sind und alles wie Schwämme in uns aufsaugen. Auch, wie mit unseren eigenen Fehlern umgegangen wird! Wir kriegen mit, wie die Erwachsenen reagieren, wenn wir etwas falsch machen. Wenn uns eine böse Absicht unterstellt wird, wo gar keine ist.
Wünschenswert wäre es doch, wenn auch Kindern in solchen Situationen auf Augenhöhe begegnet werden würde. Öffentliches Anschreien, das Unterstellen von bösen Absichten und Verallgemeinern (“IMMER machst du…”) wird zwangsläufig einen Einfluss auf die Selbstwahrnehmung dieses Kindes haben. Die Selbstwahrnehmung ist später die Basis dessen, wie wir andere um uns herum behandeln.
Langer Rede kurzer Sinn: Augenhöhe führt zu mehr Augenhöhe!
Und Augenhöhe ist die Basis einer offenen, gelungenen Fehler- und Feedbackkultur. Also, fangt mit den Kleinsten an — dieses tägliche Training wird schon schnell Erfolge zeigen und ich verspreche euch, ihr werdet nur davon profitieren.
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