Neulich habe ich mich ziemlich geärgert. Es ging um einen Gefallen, der von mir verlangt wurde — und der nicht besonders toll kommuniziert war. Schauen wir uns erst einmal den Sachverhalt an:
Ich wurde gebeten, mein Kleinkind künftig einige Minuten eher aus der Kinderbetreuung abzuholen, weil die Betreuungsperson einen Bus erwischen muss. Wir wohnen auf dem Land, was bedeutet: Wenn der Bus weg ist, dann kommt der nächste frühestens in einer Stunde — vielleicht. An sich ist es also ein sehr verständlicher Wunsch, der hinter dieser Äußerung steht.
Bevor wir uns der Situation widmen, möchte ich dir noch etwas theoretisches Wissen vermitteln. Es gibt ein wunderschönes und sehr gut anwendbares Kommunikationsmodell: Das 4‑Ohren-Modell von Schulz von Thun. Es beschreibt den Rahmen, in dem jede Kommunikation stattfindet. Ein Sender schickt eine Äußerung auf den Weg zu einem Empfänger. Diese Äußerung kann nun unter vier Aspekten interpretiert werden — sie wird also mit 4 Ohren gehört, daher stammt der Name*.
- Die Sachinformation: Jede Äußerung bringt auch immer sachliche Information mit sich.
- Die Selbstkundgabe: Mit der Art, wie jemand etwas äußert, sagt er auch etwas über sich selbst aus.
- Der Beziehungshinweis: Eine Äußerung enthält auch eine Information über die Beziehung des Senders und des Empfängers.
- Der Appell: Schlussendlich möchte der Sender mit dem Senden der Äußerung auch etwas erreichen — diese Information verbirgt sich im Appell.
Was war in meiner konkreten Situation nun geschehen? Die Situation was folgendermaßen: Während ich gerade mein Kleinkind abholte — was bedeutet, dass ich in einer absoluten Multitasking-Schuhe-anziehen-Sachen-mitnehmen-und-aufpassen-dass-das-Kind-nicht-alleine-rausrennt-Situation war, wurde mir folgender Satz gesagt:
Ich wollte nur mal erwähnen, dass mein Bus immer Punkt 16 Uhr fährt!
Aha. Analysieren wir das doch mal flott. Auf der Sachebene ist dieser Satz wirklich ganz klar. Um Punkt 16 Uhr fährt der Bus ab, mit dem die Betreuungsperson nach Hause fährt. Da hört es dann mit der Klarheit leider schon auf. Deshalb überpringen wir mal die Selbstkundgabe und den Beziehungshinweis und widmen uns dem Appell, der auch einigermaßen zu erahnen ist. Der Bus fährt um 16 Uhr, und wir wissen ja, auf dem Land bedeutet es, dieser Bus oder eben keiner. Jetzt liegt es also an mir, zu interpretieren, was genau das mit mir zu tun hat. Ich hole mein Kleinkind immer bis 16 Uhr ab. Wenn um 16 Uhr bereits der Bus losfährt, geht es also wahrscheinlich darum, dass ich das Kind doch bitte einige Minuten früher holen soll. Wie oben schon gesagt: Eine sehr verständliche Bitte.
Nur eben nicht als solche zu erkennen. Und damit kommen wir zur Ebene der Selbstkundgabe. Da äußert jemand also einen sehr sachlichen Satz, der aber eine versteckte Bitte enthält. Oder einen Befehl? Um dies zu interpretieren, braucht es die anderen Ebenen. Was sagt diese Person über sich selbst aus (ich mutmaße hier — also mit Vorsicht genießen)? Vielleicht, dass sie schüchtern ist und sich nicht traut, das offen zu fragen. Vielleicht, dass sie voraussetzt, dass sich andere nach ihr richten sollten? Vielleicht, weil sie keine Verantwortung tragen möchte — dadurch, dass ich hier großen Interpretationsspielraum habe, ist es ja am Ende meine Verantwortung, was ich mit der Information anfange. Vielleicht auch, dass sie große Angst vor Zurückweisung hat.
Die Beziehungsebene hängt sehr stark davon ab, was für eine Art der Selbstkundgabe dahintersteht. Findet die Person, dass ich in ihrer Schuld stehe, und deshalb auf den Wunsch eingehen sollte? Setzt die Person voraus, dass mir die Sachebene reicht, weil ich das zu akzeptieren habe? Oder ist die Person sehr schüchtern und hat Angst, von mir zurückgewiesen zu werden? All das kann ich interpretieren — und wie ich mich am Ende entscheide, hängt zu einhundert Prozent von meiner emotionalen Verfassung und meiner Einstellung ab!
Hier kommt die bedürfnisorientierte Kommunikation ins Spiel. Auf den Ebenen der Selbstkundgabe und der Beziehung finden sich ganz viele Bedürfnisse, an denen ich mich orientieren kann. Wenn ich mich also zusätzlich frage: Welches Bedürfnis steht wahrscheinlich dahinter, dass diese Äußerung auf diese Art und Weise getätigt wurde? Dann könnte ich zu dem Schluss kommen, dass es hier vielleicht um Akzeptanz geht. Um Anerkennung? Um Verständnis? Um Konsens? Und nicht zuletzt: um Harmonie.
Das Bedürfnis nach Harmonie ist bei vielen Menschen tief verwurzelt. Ein Thema, bei dem man fürchtet, dass ein Wunsch abgelehnt wird, kann dieses Bedürfnis nach Harmonie sehr stark triggern. Die logische Konsequenz mag dann sein, dass Thema — bzw. den Wunsch, der dahintersteht — nicht offen anzusprechen. Ergo: Die Äußerung findet nur auf der Sachebene statt und der Sender hofft auf das Entgegenkommen des Empfängers. Harmonie war hier wichtiger als das Bedürfnis nach Klarheit.
Gleichzeitig weiß ich, dass so eine Kommunikation nicht gut funktioniert. Hat sie in dem Fall auch nicht. Ich war selbst überrascht und wusste nicht recht, was für eine Antwort von mir erwartet wird, und habe dann gesagt: Okay, sollte ja eigentlich in den meisten Fällen passen, weil ich eh immer zehn Minuten vor der Zeit komme. Diese Antwort hat der Betreuungsperson aber nicht gereicht, weswegen das Gespräch mithilfe eines Vermittlers (in diesem Fall: der Chef) fortgesetzt wurde. Hier ist nun die große Gefahr, dass die Augenhöhe auf der Strecke bleibt. Die Betreuungsperson hat sich eventuell über meine Antwort geärgert. Oder war verunsichert, was das jetzt bedeutet. Da war dann das Bedürfnis nach Klarheit doch auf einmal ganz groß… und ich hab mich auch geärgert, über die unklare Information, und was da von mir verlangt wird, ohne es wirklich zu sagen.
Durch die Bedürfnisorientierung kann es gelingen, solche Situationen entweder sofort, oder eben hinterher, aufzulösen. Oberstes Ziel dabei ist es, die Augenhöhe wieder herzustellen. Dies beinhaltet sowohl eine mögliche Kränkung des Empfängers (weil etwas verlangt wird), als auch die mögliche Unsicherheit des Senders (Harmonie vor Klarheit). Das 4‑Ohren-Modell kann häufig helfen, kryptische Äußerungen zu verstehen — mit dem zusätzlichen Fokus auf den dahinterliegenden Bedürfnissen können Situationen auf Augenhöhe geklärt und auch kritische Nachfragen gestellt werden.
*Funfact: Das Modell heißt eigentlich “Kommunikationsquadrat” — es ist unter dem Namen 4‑Ohren-Modell aber viel verbreiteter. Hier zum Nachlesen!